aus der "Monatsschrift Kinderheilkunde" 7 • 2006

von P.Spitzer & M.E.Höllwarth, "Große schützen Kleine", Österreichisches Komitee für Unfallverhütung
im Kindesalter, Graz

Kinderunfälle und ihre Prävention                        

Zusammenfassung

Bereits im 1. Lebensjahr sind Unfälle neben Erkrankungen der Atemwege eine der Hauptursachen tödlicher Krankheitsverläufe. Somit sind sie in Europa die häufigste Todesursache bei Kindern. Die durch Unfälle und ihre Folgen entstehenden Kosten könnten sinnvoller für die Prävention eingesetzt werden. Insgesamt gibt es drei grobe Modi der Präventionsstrategie:

 

      

       1. Schutz der Kinder bei noch nicht möglichem Selbstschutz,

 

       2. frühzeitiges Aufzeigen von Gefahren und

 

       3. Vermittlung sicherer Verhaltensweisen.

 

Die psychische, physische und motorische Entwicklung sind das Raster, in dem sich ein Verständnis für Gefahr und Sicherheit herausbildet. Zudem spielt die Konzentration beim sicherheitsorientierten Verhalten eine wichtige Rolle.

 

Unfallschwerpunkte sind Sturz vom Wickeltisch, Unfälle mit dem Lauflernwagen, Stürze, Verbrennungen/Verbrühungen, Vergiftungen und Verätzungen, Ertrinken, Verletzungen durch Tiere, Verkehrsunfälle beim Mitfahren im Auto oder als Fahrradfahrer sowie Wintersport. Für diese Schwerpunkte werden jeweils Präventionstipps gegeben.

 

Kinderunfälle in Europa

Eine genaue Betrachtung der Todesursachenrate (bezogen auf 100.000 Lebende) macht deutlich, dass der Unfall in allen Altersgruppen bis ins 5. Lebensjahrzehnt die domi­nierende Todesursache darstellt. Bereits im 1. Lebensjahr ist der Unfall neben Erkrankungen der Atemwege eine der Hauptursachen tödlicher Krankheitsverläufe. Es ist nicht unvermessen, zu fordern, dass dem Phänomen und der „Krankheitsursache" Unfall weitaus mehr Bedeutung zugemessen werden muss als zurzeit der Fall. Die Un­fallursachenforschung muss daher viel stärker in den Mittelpunkt der Bemühungen gestellt werden.

 

Pro Jahr sterben in Europa rund 5000 Kinder durch einen Unfall. Somit sind Unfälle in Europa (EU 25) die häufigste Todesursache bei Kindern. Innerhalb der Altersgrup­pe der 1- bis 14-Jährigen ist die Todesrate aufgrund eines Unfalls doppelt so hoch wie die durch Krebs und 8-mal so hoch wie durch Atemwegserkrankungen.

Unfälle im Kindesalter sind im Schnitt bei Knaben doppelt so häufig zu beobachten wie bei Mädchen. Es gibt aber auch Sportarten, bei denen ein Geschlecht deutlich über­wiegt. So findet sich bei Unfallopfern im Eishockey der geschlechtliche Schwerpunkt bei den Jungen, beim Reiten hingegen bei den Mädchen.

Die Unfallstatistik zeigt, dass Kinder bis 14 Jahre die meisten nicht tödlichen Unfälle während ihrer Freizeit, zu Hause und beim Sport erleiden. Davon wiederum weist die engste Wohnumgebung des Kindes mit Haus, Wohnung und Garten mit 42% die meisten Unfälle auf. Der Straßenverkehr hat zwar bei den nicht tödlichen Kinderunfällen nur einen sehr geringen Anteil (2-3%), jedoch ist rund die Hälfte der tödlichen Kinderunfälle in diesem Bereich zu finden.

 

Kostenfaktor Unfall

 

In Europa muss man die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Faktors Unfall mit rund 400 Mrd. EUR beziffern, was etwa dem 4-fachen des EU-Budgets entspricht.

Nach Berechnungen der CDC kann man folgendes „return on investment" durch Unfallverhütungsmaßnahmen erwarten:

-  Jeder für einen Rauchmelder investierte Euro erspart 69 EUR an gesamtwirtschaftlichen Unfallfolgekosten.

Jeder für einen Kindersitz ausgegebene Euro erspart 32 EUR.

 

-  Jeder für den Betrieb einer Vergiftungsinformationszentrale investierte Euro erspart 7 EUR.

 

Auch ein spezielles Beratungsgespräch eines niedergelassenen Arztes/Pädiaters zum Thema Unfallverhütung spart das 10-fache der investierten Kosten ein.

Die Kostenberechnungen für ein verunfalltes Kind vermögen nicht die Sorgen der Eltern und das Leid des kleinen Patienten auszudrücken, verdeutlichen aber, welche Mittel aus dem Gesundheitsbudget leider noch für die tertiäre Prävention (Unfall- und Unfallfolgenbehandlung) ausgegeben werden, die für eine Unfallverhütung viel effektiver eingesetzt werden könnten.

 

Unfallbereiche und Altersgruppen

Von den einzelnen Altersstufen sind die 1- bis 2-Jährigen am meisten gefährdet. Vom 3. Lebensjahr an nimmt das Unfallrisiko ab und stagniert auf tiefstem Niveau zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr. Ab dem 8. Lebensjahr steigt die Unfallbelastung wiederum an und erreicht bei den 12- bis 13-Jährigen einen Höchstwert, was durch eine ver­stärkte Sportausübung und gesteigerte Verkehrsteilnahme begründet werden kann

 

Psychomotorische Entwicklung

Der Stand der kindlichen Entwicklung in seiner psychischen und physischen Ausprägung bildet die Basis für Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der Sicherheit des Kindes führen [7]. Somit ergeben sich 3 grobe Modi der Präventionsstrategie:

             1.  Kinder schützen, so lange Selbstschutz noch nicht möglich ist

         2. Kindern so früh wie möglich ihrem Alter gemäß Gefahren aufzeigen

         3. Kindern sichere Verhaltensweisen vermitteln

Zur Entwicklung von sicherheitsorientierten Verhaltensweisen benötigen Kinder eine Reihe von Fähigkeiten, die sich in ihrer vollständigen Ausbildung erst im Lauf der Kindheit entwickeln. Die psychische, physische und motorische Entwicklung sind das Raster, in dem sich ein Verständnis für Gefahr und Sicherheit herausbildet. Bei jüngeren Kindern (bis etwa 5 Jahre) wird Gefahr als umgebungs- und nicht als situationsspezifisch begriffen (statisches Gefahrenbewusstsein). Bei der „gefährlichen" Straße ist das Kind auch dann vorsichtig, wenn kein Fahrzeug kommt, bei der „ruhigen" Straße ist es nicht vorsichtig, auch wenn ein Fahrzeug kommt. In dieser Altersgruppe werden Kinder durch negative Erfahrungen zwar grundsätzlich vorsichtiger, aber dieses Gefahrenbewusstsein trifft nur in der spezifischen Unfallsituation (wer sich am Herd verbrennt, wird dort in Zukunft vorsichtiger sein, das Bügeleisen bleibt weiterhin attraktiv) zu und wird nur dann begriffen, wenn Ursache und Wirkung unmittelbar aufeinander folgen.

 

Ab dem 5. Lebensjahr kann man schließlich von der Entwicklung eines Gefahrenbewusstseins sprechen, das sich wie folgt strukturieren lässt:

            1. Akutes Gefahrenbewusstsein

Gefährliche Situationen werden erst ab einem Alter von etwa 6 Jahren identifiziert. Das Kind kann die Situationen „fetzt bin ich in Gefahr" bzw. „Jetzt bin ich in Sicherheit" wahrnehmen. (Ein Kind fährt mit dem Fahrrad einen Abhang hinunter und wird immer schneller. Es empfindet diese Situation als gefährlich).

        2. Antizipierendes Gefahrenbewusstsein

Es entwickelt sich ungefähr ab einem Alter von 8 Jahren. Nun können Kinder in einer Vorausschau erkennen, dass sie sich bei einer bestimmten Tätigkeit in Gefahr be­geben. Gefahren werden vorausgesehen, und das Kind lernt, durch welche Verhaltensweisen es in Gefahr gerät. (Das Kind kann erkennen, dass das Fahren auf steil ab­schüssigen Wegen gefährlich ist, weil das Tempo sehr hoch werden kann).

        3. Präventionsbewusstsein

Das Verständnis für Präventionsmaßnahmen tritt erst im Alter von 9-10 Jahren auf. Der Gedankengang „Wie kann ich eine Gefahr vermeiden?" ist ab 12 Jahren vollständig möglich. Es kommt zur Entwicklung von vorbeugenden (präventiven, prophylaktischen) Verhaltensweisen und zu deren Anwendung (Tragen eines Fahr­radhelms).


 

Des Weiteren spielt die Konzentration beim sicherheitsorientierten Verhalten eine wichtige Rolle. Gefahren können nur erkannt werden, wenn man sich auf die gefährliche Situation konzentriert, d. h. „aufmerksam sein" und „sich konzentrieren" sind wesentliche Determinanten des sicherheitsorientierten Verhaltens. „Abgelenkt sein" ist eine der häufigsten Ursachen von Unfällen im Kindesalter.

Man kann festhalten, dass Kinder frühestens ab etwa 8 Jahren zu einigermaßen zuverlässigen sicherheitsorientierten Verhaltensweisen in der Lage sind, wobei große individuelle Schwankungen mit zu berücksichtigen sind. In Ablenkungssituationen zeigen aber auch noch ältere Kinder risikoreiche Verhaltensweisen.

 

Unfallschwerpunkte

Im Folgenden werden die wichtigsten Unfälle und ihre Prävention altersmäßig gegliedert zusammengefasst.

 

Wickeltisch

Im ersten Lebensjahr ist der Sturz vom Wickeltisch eine der dominierenden Unfallursachen und stellt häufig den ersten Unfall im Leben eines Kindes dar. Durch die Größen­relation des kindlichen Kopfs zum Körper kommt es dabei häufig zu Kopfverletzungen. In der Mehrzahl der Fälle ist ein Elternteil beim Unfall zwar anwesend, aber mit einer anderen Tätigkeit beschäftigt. Es ist wichtig, zu wissen, dass Babys, auch wenn sie sich noch nicht umdrehen können, durch Strampeln und Abstoßen mit ihren Beinchen vom Wickeltisch fallen können. Die meisten Kinder stürzen über das Fußende oder die Wickeltischseite.

Präventionstipps.

- Es sollten nur Wickeltische bzw. -auflagen mit hochgezogenen Wülsten auf der Seite und beim Kopf verwendet werden. Wenn der Wickeltisch in einer Raumecke steht, sind bereits 2 Seiten entschärft.

- Vor dem Wickeln sollte alles bereitgelegt werden.

- Wenn man sich umdrehen oder weggehen muss, muss man das Kind immer mitnehmen oder auf den Boden legen.

   Ist das Kind sehr unruhig oder schon sehr groß und kräftig, ist das Wickeln am Boden sicherer.

   Die Kraft des Kindes darf nicht unterschätzt werden. Es kann sich leicht unter einer festhaltenden Hand herausdrehen. Vor allem nach dem Baden und Eincremen sind Kinder schwer festzuhalten.

 

Lauflerngeräte

Das „Gehfreisystem" wird sehr gerne gekauft, mit dem Gedanken, dass sich die Kinder in der Wohnung leichter bewegen können, oder gar, dass sie früher laufen lernen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Darüber hinaus erreicht das Kind mit einem solchen Gerät Geschwindigkeiten bis zu 5 km/h, die es nicht abfangen kann. Des Weiteren kann ein solches Gerät bereits bei kleinsten Bodenstufen umstürzen, und das Kind fällt in den meisten Fällen mit dem Kopf zuerst auf den Boden. Bei Stufen und Treppen hat das Kind überhaupt keine Chance, den Lauflerngeräte rechtzeitig abzustoppen. Hinzu kommt noch, dass Kinder in diesem Alter Gefahren nicht erkennen bzw. abschätzen können.

Die Unfallursache ist bei 81% der Kinder ein Sturz über eine Treppe oder über einzelne Stufen. In 16% der Fälle kommt es zum Umkippen des Gehfreigeräts in der Wohnung, bedingt durch Bodenunebenheiten oder am Boden liegende Gegenstände. Die Verletzungen betreffen zu 98% den im Gehfreigerät ungeschützten Kopf des Kindes.

Präventionstipps.

 

 Zur Vermeidung von Verletzungen mit dem "Gehfrei" gibt es nur eine sinnvolle Maßnahme: diese Geräte generell nicht zu verwenden.

 

Stürze

Beginnt das Kleinkind zu laufen, ist der Gang am Anfang unsicher und unkontrolliert, und Kollisionen mit Einrichtungsgegenständen sind die Folge. Vor allem Tischkanten, Heizkörper, scharfe Möbelecken und Glastüren können zu Rissquetschwunden und Schnittverletzungen führen. Ein großes Sortiment von Schutzeinrichtungen, wie Eckenschützer, Abdeckungen, Sicherheitsglas und Splitterfolien sind im Handel erhältlich.

Hat das Kleinkind gelernt, selbstständig zu laufen, lernt es rasch, auf Gegenstände, wie Sessel, Tisch, Etagenbett und andere Möbel, hinaufzusteigen. Als Folge davon kann es zu Abstürzen aus jeder Höhe kommen. Besonders gefährlich ist es, wenn Sessel oder Tische neben Fenstern, Treppenabgängen oder auf Balkonen und Terrassen stehen, da der „Fenstersturz" oft mit schweren Verletzungen einhergeht. Immer wieder kommt es vor, dass Kleinkinder auf Bücherregale oder Fernsehtische steigen. Da es sich hierbei oft um instabile Möbel handelt, können diese umstürzen und auf das Kind fallen.

Präventionstipps.

 

- Es sollten Sicherheitsglas bzw. Splitterschutzfolien verwendet werden.

- Es sollten Treppengitter angebracht werden.

-  Treppen- und Balkongitter sollten keine Querstäbe haben (Leiter zum Hinaufklet­tern), und der Abstand zwischen den Längsstäben sollte maximal 10 cm betragen.

- Vorsicht bei Gartenmöbeln am Balkon: Kinder nutzen sie als Kletterhilfe.

- Möbel/Regale sollten mit der Wand verschraubt werden.

- Zumindest im Kinderzimmer, besser in allen Räumen, sollten die Fenstergriffe abschließbar sein.

 

Verbrennen/Verbrühen

Der größte Prozentsatz der Unfälle in diesem Bereich ereignet sich in der Altersgruppe der bis 2-Jährigen (58%), gefolgt von den 3- bis 5-jährigen Kindern (16%). Während bei kleineren Kindern die Unfälle bei der Erforschung der häuslichen Umwelt (Gefäße mit heißen Flüssigkeiten zu sich ziehen, etwas Heißes angreifen) geschehen, verletzen sich größere Kinder beim Kochen oder Hantieren mit Feuerwerkskörpern oder offenem Feuer. Die Unfallursachen verteilten sich zu 2/3 auf Verbrühungen im Haushalt, gefolgt von Kontaktverbrennungen (18%) z. B. mit heißem Wasser. Bei Verbrühungen unter 4 Jahren sind Tätigkeiten in Zusammenhang mit Kochen bzw. in der Küche mit 47% die häufigste Unfallursache. An 2. Stelle liegen Unfälle mit Kaffee/Tee, wobei diese Flüssigkeiten während des Trinkens durch Anstoßen, Verschütten und Ähnliches über das Kind gegossen werden.

Präventionstipps.

 

- Herdschutzgitter helfen, schwere Verbrühungen am Herd zu verringern.

- Es sollten keine heißen Getränke konsumiert werden, wenn man ein Kind in den Armen hält. Plötzliche Bewegungen des Kindes können zum Anstoßen an der Hand führen, und die Tasse entleert sich über das Kind.

- Im Bad sollten Mischbatterien angebracht sein.

- Bei einem ausreichend großen Fassungsvermögen des Warmwasserboilers ist es nicht notwendig, Warmwasser über 6o°C aufzuheizen.

- Streichhölzer, Feuerzeuge und Ähnliches sollten außerhalb der Reichweite der Kinder aufbewahrt werden.

- Dem Kind müssen der richtige Umgang mit Streichhölzern gezeigt und die Gefahren erklärt werden.

 

- Rauchmelder sollten im Gang vor den Schlafräumen bzw. in den Schlafräumen und Kinderzimmern montiert werden.

 

Vergiftung/Verätzung

Kästchen und Schubladen werden bereits von krabbelnden Kleinkindern leicht geöffnet und ihr Inhalt mit Interesse untersucht. Vielfach gelangen die Kinder dadurch an  Medikamente, die für sie wie Süßigkeiten aussehen und gegessen werden. Die überwiegende Zahl dieser Vergiftungen (82%) führt nicht zu Symptomen, weitere 17% zeigen nur geringe, überwiegend Magen-Darm-Symptome. Bei dem verbleibenden 1% handelt es sich jedoch um schwere Vergiftungen. Sie werden hauptsächlich durch Medikamente verursacht (vor allem in Saftform!) sowie durch Zigarettentabak.

Besonders gefährlich sind auch die meist unter der Küchenspüle aufbewahrtenWasch- und Putzmittel. Da die meisten dieser Substanzen starke Säuren oder Laugen enthalten, erleiden Kleinkinder Verätzungen der Mundhöhle und Speiseröhre oder Vergiftungen. Besonders schwer wiegend sind Verätzungen mit hoch konzentrierten Reinigungsmitteln, die besonders häufig vorkommen, wenn sie unsachgemäß in Getränkeflaschen aufbewahrt werden.

Die akzidentelle Ingestion von Duftpetroleum stellt in den letzten Jahren eine zunehmende Gefahr dar. Durch den Zusatz von Duft- und Farbstoffen sind diese Produkte für Kleinkinder ein verlockendes Ziel. Dabei werden die Probleme nicht durch die resorptive Toxizität, sondern durch das hohe Aspirationsrisiko dieser Produkte verursacht. Durch den hohen Gehalt an Lipiden können sie in tiefe Lungenabschnitte vordringen, und bereits geringe Mengen fuhren zu einer chemischen Pneumonie, hämorrhagischen Bronchopneumonie bzw. zum Lungenödem.

Im Garten stellen v. a. bunte Blüten und Beeren eine Gefahr für Kleinkinder dar. Viele der Ziersträucher mit ihren bunten Blüten und Früchten sind giftig, wobei das objektive Gefahrenpotenzial allerdings nicht sehr groß ist.

Der überwiegende Teil von Vergiftungen findet in der eigenen Wohnung statt (80%), in fremden Wohnungen etwa 11%, die übrigen Fälle ereignen sich außerhalb von Wohnräumlichkeiten wie in Garagen, Werkstätten usw.

Präventionstipps:

 

- Putzmittel und ätzende Substanzen müssen immer in versperrten Schränken aufbe­wahrt werden.

 

- Medikamente sollten außerhalb der Reichweite von Kindern gelagert werden. Aufbewahrungsorte sind versperrte Schränke.

 

- Gefährliche Chemikalien, Säuren und Laugen sollten in Haushalten mit Kleinkindern nicht verwendet werden.

- Duftöle und Duftlampen sollten nach Gebrauch außerhalb der Reichweite von Kleinkindern aufbewahrt werden.

- Es ist strengstens verboten, Giftsubstanzen vom Originalbehälter in Flaschen umzufüllen, aus denen Kinder vielleicht trinken könnten (z. B. Natronlauge in Coca-Cola-Flasche).

- Als erste Maßnahme ist es sinnvoll, alle gefährlichen Produkte zumindest in den oberen Schrankregionen zu deponieren. Man sollte aber auf keinen Fall vergessen, dass Kinder kreativ sind und mit diversen Aufstiegshilfen auch höher gelegene Orte erreichen können. Eine Schranksicherung verhindert das Öffnen von Schranktüren.

- Die Telefonnummer der Vergiftungszentrale sollte griffbereit sein.

 

Ertrinken

Nach dem Verkehrsunfall ist das Ertrinken in Österreich die zweithäufigste tödliche Unfallursache; bei Kleinkindern sogar die häufigste. Auf jeden tödlichen Ertrinkungsunfall kommen rund 4 Unfälle, die einer stationären Behandlung bedürfen und nicht selten durch die lange Asphyxie mit (schweren) geistigen Behinderungen einhergehen.

Bereits wenige Zentimeter Wasser reichen aus, dass ein Säugling ertrinken kann. In diesen ersten Lebensmonaten wird der so genannte „diving reflex" durch Wasserkontakt ausgelöst, was bewirkt, dass der Kehlkopfdeckel geschlossen wird und die Herzschläge (bis hin zum Herzstillstand) verringert werden.

Im Kleinkindalter fuhrt typischerweise eine Art „Totstellreflex" dazu, dass sich Kinder auch bei niedriger Wassertiefe nicht mehr bewegen und einfach mit dem Gesicht im Wasser liegen bleiben. Daher ist Ertrinken auch in diesem Alter bei einer Wassertiefe von 5-10 cm möglich.

Tödliche Ertrinkungsunfälle ereignen sich typischerweise leise und schnell und in der Regel von Erwachsenen gänzlich unbemerkt.

Präventionstipps:

- Säuglinge dürfen beim Baden nie losgelassen werden, das Baby sollte möglichst zu zweit gebadet werden.

- Kleinkinder dürfen nie unbeaufsichtigt am Wasser gelassen werden.

- Bei mehreren Erwachsenen sollte die Aufsichtsperson festgelegt werden.

- Schwimmhilfen oder Luftmatratzen gehören nicht ins tiefe Wasser.

- Mit routinierten Schwimmkenntnissen darf bei Kindern bis zum 8./9. Lebensjahr in Notsituationen noch nicht gerechnet werden.

- Private Swimmingpools und Biotope müssen abgesichert werden (Zäune), und die Kinder dürfen nie alleine gelassen werden . Es gibt auch batteriebetriebene, schwimmende Alarme, die durch ein hineingestürztes Kind ausgelöst werden.

- Nicht benutzte Swimmingpools müssen abgedeckt werden.

- Auch Regentonnen sollten abgedeckt werden.

 

Tiere, Hunde

Über 80% der Verletzungen mit Hundebissen passieren mit dem eigenen oder einem gut bekannten Hund. Betroffen sind v. a. die Altersgruppen der 3- bis n-jährigen Kinder. Der größte Teil der Verletzungen betrifft den Kopf- und Halsbereich sowie die Extremitäten. Der Grund für das Verletzungsmuster „Kopf-Hals-Bereich" ist darin zu sehen, dass diese Regionen bei Kleinkindern aufgrund ihrer Körpergröße für den Hund leicht erreichbar sind.

Es gibt 3 Hauptgründe für einen Hundebiss, wobei als grundsätzliche Ursache zum einen das Instinktverhalten des Hundes und zum anderen das Fehlverhalten des Kindes anzusehen sind:

- Der Hund wird absichtlich oder unabsichtlich provoziert.

- Der Hundebesitzer kennt Charakter oder Verhaltensmerkmale des Hundes nicht.

- Der Hund ist nicht richtig erzogen, kontrolliert oder sozialisiert.

 

Präventionstipps:

- Die Leinenpflicht in der Öffentlichkeit sollte konsequent eingehalten werden.

 

- In der Öffentlichkeit frei laufende Hunde sollten einen Maulkorb tragen.
 

- Falsches Zutrauen oder Verniedlichungen sollten vermieden werden.

- Bei Kleinkindern sollte man keine großen Hunde v. a. keine Schäferhunde anschaffen.

- Hunde sollten erst nach Abschluss der Familienplanung in die Familie aufgenommen werden, da jeder Neuankömmling die erlernte und akzeptierte Rangfolge des
Hundes in Frage stellt.

- Hundeschulpflicht und Trainingsprogramme für Hundehalter sollten eingeführt werden.

 

Mitfahren im Auto

Babyliegeschalen ermöglichen den Transport in einer halbliegenden Position. Sie dürfen nur gegen die Fahrtrichtung mit dem fahrzeugeigenen 3-Punkt-Gurt befestigt werden. Diese Transportlage ermöglicht es, dass der Kopf des Babys beim Abbremsen und natürlich auch bei einem Unfall durch die Sitzschale abgestützt wird. Somit wird die Halswirbelsäule zusätzlich geschützt.

Präventionstipps:

- Bei einem aktiven Frontairbag am Beifahrersitz darf dieser Kindersitz nicht verwendet werden.

- Die Babyliegeschale ist dann zu klein, wenn sich der Scheitel des Babys am oberen Schalenrand befindet.

 

Kinder, die in die nächst höhere Sitzklasse wechseln, sollten alleine sitzen können. Dennoch ist eine Stütze des schweren Kopfs sinnvoll, damit er nicht bei jeder Kurve hin und her purzelt. In dieser ECE-Gruppe gibt es 4 Systemarten. Welche wirklich zum Kind und zum Auto passt, muss vor Ort im Geschäft unter fachkundiger Beratung ausprobiert werden.

1. Rückwärts gerichtete Systeme haben eine große Schutzwirkung bei einem Frontalaufprall, der Einbau an sich und v. a. in kleinen Fahrzeugen kann schwierig sein,

2. Fangkörpersysteme weisen beim Frontalaufprall eine hohe Schutzwirkung auf. Sie sind leicht zu handhaben, beim Seitenaufprall besteht jedoch eine erhöhte Gefahr für den Kopf.

3. Hosenträgersysteme sind sehr komfortable Sitze, die auch über eine Liegeverstellmöglichkeit verfügen. Die Montage erfolgt mit dem fahrzeugeigenen 3- oder 2-Punkt-Gurt, das Kind wird mit einem eigenen Gurtsystem gesichert.

4. 3-Punkt-Gurt-Systeme (Sitzkissen) sind relativ leicht zu montieren. Da jedoch das Kind mit dem fahrzeugeigenen Gurt gesichert wird, ist ein zu früher Einsatz bei kleinen Kindern nicht sinnvoll, da der Gurt bei ungenauer Führung Verletzungen der inneren Organe und Strangulationsverletzungen am Hals verursachen kann.

Präventionstipps:

 

- Kind und Auto sollten zum Händler mitgenommen werden, damit der richtige, sprich passende, Sitz ausgesucht und ausprobiert werden kann.

- Gurte und Fangkörper müssen straff angezogen sein und knapp am Körper anliegen.

- Es muss immer wieder kontrolliert werden, ob sich das Kind nicht losgeschnallt hat.

Kindersitz der ECE-Klasse 2/3

In diesem Gewichtsbereich sind Sitzkissen in Kombination mit einer Schlafstütze die beste Wahl. Das Kind wird nun mit dem fahrzeugeigenen 3-Punkt-Gurt gesichert. Damit der Gurt einen optimalen Verlauf am Kinderkörper hat, sind Gurthaken am Sitzkissen und Führungen im Schulterbereich wichtig. Erst dann kann der Gurt nicht nach oben in den Bauchraum rutschen, sondern bleibt im Beckenbereich, und der Schulterteil verläuft über die Schulter und kann nicht zum Hals rutschen.

 

Durch das Sitzkissen kann es dazu kommen, dass das Kind mit dem Kopf bereits über die Oberkante der Rücksitzbank ragt. In diesem Fall ist eine Nachrüstung mit einer Kopfstütze notwendig.

 

Auch wenn höhenverstellbare Gurte eine Führung am Hals vermeiden, ist ohne Sitzkissen die Gefahr von Verletzungen im Bauchraum durch ein Hinaufrutschen des Gurtes sehr groß.

Präventionstipps:

 

- Es sollte ein Sitzkissen mit Gurthaken und höhenverstellbarer Rückenlehne gekauft werden.

 

- Eine Rückenlehne beim Sitzkissen ersetzt nicht eine Kopfstütze.

 

- Die Rückenlehne sollte große „Ohren" haben, damit auch beim Seitenaufprall ein optimaler Schutz gegeben ist.

 

- Da das Sitzkissen sehr lange verwendet wird, sollte beim Kauf auf hochwertiges Material geachtet werden.

 

- Sollte sich das Kind bereits selbst anschnallen, muss trotzdem die exakte und straffe Gurtführung kontrolliert werden.

 

Fahrradfahren, Fahrradhelm

Fahrradunfälle gehen in 37% der Fälle mit Kopfverletzungen einher. Das Tragen von Fahrradhelmen reduziert das Risiko für eine Kopfverletzung um 85%, für eine Gehirnverletzung um 88%. 75% der tödlich verunglückten Fahrradfahrer wären noch am Leben, hätten sie alle einen Fahrradhelm getragen.

Unter den Altersgruppen mit Fahrradunfall mit Kopfverletzungen sind die bis 14-Jährigen mit 61% am häufigsten betroffen. Bei der Altersverteilung der verunfallten Kinder ist die Altersgruppe der 6- bis 10-jährigen dem größten Risiko für Kopfverletzungen (55%) ausgesetzt. Bei etwa 10% der Kinder nach einem Fahrradunfall mit schweren Kopfverletzungen kommt es zu schweren, teilweise auch mehrfachen körperlichen oder geistigen Behinderungen.

Fahrradhelme stellen immer einen Kompromiss zwischen möglichst gutem Schutz und Tragbarkeit dar. Dies gilt für Gewicht (160-450 g), Belüftung und Verzicht auf Rundumschutz, damit der Fahrer gut hören und sehen kann.

Ein Fahrradhelm zeichnet sich durch folgende Punkte aus:

- Prüfnorm (DIN, GEN, TÜV, SNELL, ANSI),

- Geringes Gewicht,

- Ausreichende, mit einem Insektengitter abgedeckte Lüftungsschlitze,

- Empfehlenswert ist eine Kombination aus Softshell [Hartschaumschicht (gute Absorptionseigenschaften)] und Hardshell [2-3 mm Kunststoffschicht (geringere Ver­zögerungswerte am Asphalt]) als Außenhülle (Microshell),

- Gabelförmiger, an 3 oder 4 Punkten befestigter Kinnriemen,

- Mit der Hand zu öffnender Verschluss,

 

- Entsprechende Fixierung am Kopf (Stärke des kleinen Fingers als maximales Zwischenspiel).

 

Präventionstipps:

- Alle Radfahrer sollten einen Fahrradhelm tragen.

- Gerade auch Eltern sollten einen Fahrradhelm tragen.

 

- Stützräder unterstützen nicht das Erlernen des Fahrradfahrens. Erst wenn ein Kind, z. B. mit einem Roller, einen gewissen Weg in Balance zurücklegen kann, wird es auch am Fahrrad das Gleichgewicht halten können. Stützräder sind beim Kurvenfahren schlecht einzuschätzen. Da man sich nicht hineinlegen kann, ist der Sturz in Richtung Außenkurve leicht möglich.

- Am Anfang ist eine Rücktrittbremse von Vorteil.

 

Fazit für die Praxis

Unfälle stellen in den OECD-Ländern gegenwärtig die häufigste Todesursache und die zweithäufigste Krankheitsursache bei Kindern und Jugendlichen dar.

Bei der Unfallprävention kommt es in großem Maß auf die Mitarbeit und fachliche Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten an, die im Rahmen der Vorsorge-Untersuchungen einen engen Kontakt zum Kind und seinen Eltern haben. Schon mit einem kurzen Beratungsgespräch und prägnanten Hinweisen auf die altersgemäßen Entwicklungsfortschritte und die damit verbundenen Unfallrisiken kann viel erreicht werden.

Sollte es dennoch zu einem Unfall kommen, ist es sinnvoll, Kinder in die entsprechenden Fachabteilungen von Kinderchirurgie und Kinderklinik einzuweisen. Allgemeinabteilungen verfügen zumeist nicht über entsprechende Gerätschaften (kleine Operationsbestecke, kindgerechtes Versorgungsmaterial) und speziell ausgebildetes Personal.

Darüber hinaus ist auch das gesamte Umfeld auf den Kinderstationen (Kinderkrankenschwestern, Mutter-Kind-Zimmer, Lehrer, Maltherapeuten), welches den Heilungsprozess ohne Zweifel unterstützt, einfach kindgerecht.

korrespondierender Autor Dr. P. Spitzer, e-mail: kinder.unfall@meduni-graz.at

 

Interessante Beispiele für Präventionsarbeit finden sich unter http://www.grosse-schuetzen-kleine.at.


Für weitere Fragen steht Ihnen natürlich auch unser PraxisTeam zur Verfügung ...

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zuletzt aktualisiert am 31.07.2006 (RW)