Windpocken-Impfung in der Kritik                                           Ó  kinderpraxis-juelich  (Feb-05)

    Abdruck eines Kommentars zur StIKo-Empfehlung aus dem Deutschen Ärzteblatt vom 5. November 2004:

 

Experten streiten über Impfung gegen Windpocken

Normalerweise produziert die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts keine großen Schlagzeilen, wenn sie - alle Jahre wieder - ihre Impfempfehlungen bekannt gibt. Dieses Mal aber hat sie es in viele Tageszeitungen und sogar in den „Spiegel" geschafft. Der Grund: Erstmalig hat sich die Kommission für eine allgemeine Windpockenimpfung ausgesprochen. Bisher war diese nur für Risikogruppen, wie HIV-Infizierte und Krebspatienten, vorgesehen. Die Emp­fehlung ist fachlich umstritten. Kritiker sagen, die STIKO berücksichtige zu stark die Interessen der Pharmaindustrie.

Folge ist, dass sich die Spitzenverbände der Krankenkassen in einer gemeinsa­men Erklärung gegen die Übernahme der Varizellenimpfung aussprachen. Da die Impfungen zu den freiwilligen Satzungsleistungen gehören, obliegt es den einzelnen Kassen, über die Kostenübernahme zu entscheiden.

Rund 750 000 Menschen erkranken hierzulande jedes Jahr an Windpocken. Die STIKO hofft, mit den Impfungen die Zahl der Neuerkrankungen und die Zahl der jährlichen Todesfälle, die sie auf etwa 20 hochrechnet, verringern zu können. Zudem ließen sich durch Varizellen verursachte Komplikationen verhindern, wie etwa bakterielle Superinfektionen oder die seltenen Folgen für das zentrale Nervensystem.

Noch im März 2003 hatte sich die Kommission gegen eine allgemeine Einführung der Windpockenimpfung ausgesprochen. Die Begründung: Die erforderliche Impfrate werde mit dem verfügbaren monovalenten Impfstoff nicht erreicht. Zudem gebe es international keine überzeugenden Vorbilder. „Damals war die Zeit nicht reif", sagt der stellvertretende Vorsitzende der STIKO, Dr. med. Jan Leidel. Neue Studien aus den USA belegten jetzt die Verträglichkeit und die Effektivität der Impfung. Untersuchungen hierzulande hätten darüber hinaus ergeben, dass die Komplikationsrate bei erkrankten Säuglingen und Kleinkindern höher sei als bisher angenommen. Auch wenn die erforderlichen Impfraten nicht erreicht würden, seien zumindest die Geimpften geschützt.

Bei den Krankenkassen sieht man den plötzlichen Sinneswandel kritisch. In 95 Prozent der Fälle verlaufe die Krankheit problemlos, halten sie entgegen. Und die notwendige Impfrate von 85 bis 90 Prozent werde ohne eine Kombi­Impfung mit Masern, Mumps, Röteln nicht erreicht. Vermehrt würde dadurch die Krankheit im höheren Alter durchlebt, weil die Chance zur natürlichen Immunisierung sinke. In der Folge stie­gen sowohl die Schwere der Krankheit als auch die Komplikationsrate.

Pharmaindustrie finanziert Studien für STIKO

Kritiker werfen der STIKO vor, die Interessen der Pharmaindustrie zu vertreten. Tatsächlich hat ein Konzern, der bis vor kurzem alleiniger Anbieter eines Impfstoffes in Deutschland war, Studien finanziert, anhand derer die STIKO unter anderem ihre Empfehlung aussprach. „Immer wieder haben STIKO-Mitglieder auch Forschung für die Pharmaindustrie betrieben", sagt Dr. med. Klaus Hartmann. Er war Mitarbeiter am Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung neuer Impfstoffe verantwortlich ist.

Für den stellvertretenden STIKO-Vorsitzenden ist das kein Problem: „Bevor ein Mitglied vom Gesundheitsministerium in die STIKO berufen wird, muss es seine Verbindungen zur Pharmaindustrie darlegen." Zudem dürfe jemand, der Auftragsforschung mache, nicht an den diese Bereiche betreffenden Abstimmungen teilnehmen. Aus Leideis Sicht spricht sogar einiges für eine Finanzierung der Studien durch die Pharmaindustrie: „Alle Impfstoffe müssen immer wieder auf den Prüfstand. Das sollten die Pharma-Unternehmen nicht alleine machen, sondern besser renommierte Institute damit beauftragen."         

Timo Bloß

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zuletzt aktualisiert am 24.02.2005 (RW)