Magersucht (=Anorexia
nervosa)
|
Die
Magersucht ist eine Essstörung, bei der die Betroffenen ein
nicht dem Alter und der Statur entsprechendes minimales
Körpergewicht anstreben. Dabei ist die Wahrnehmung von Figur,
Gewicht und Aussehen häufig gestört und es besteht die Angst vor
einer Gewichtszunahme. Die Gefahren, die sich aus dieser
Situation ergeben, werden verleugnet. Hinzu kommt häufig eine
soziale Isolation in Verbindung mit Depressionen.
|
DSM-III-R-
Kriterien |
Für die Diagnose "Anorexia
nervosa" reicht Untergewicht alleine nicht aus. Zunächst müssen
alle organischen Ursachen ausgeschlossen werden (z.B.
Schilddrüsenüberfunktion,
Diabetes mellitus Typ 1, Malabsorptionssyndrom). Für die
Diagnose einer Magersucht müssen weitere Kriterien erfüllt sein
(siehe Abbildung).
Diagnostische
Kriterien der Anorexia nervosa (DSM-III-R-Kriterien) |
Untergewicht
Gewicht wird
absichtlich unterhalb des normalen Bereichs gehalten |
Furcht vor
Gewichtszunahme
(trotz bestehendem
Untergewicht) |
Verzerrte
Körperwahrnehmung
Patienten fühlen sich
oder einen bestimmten Teil ihres Körpers zu dick
(trotz bestehendem Untergewicht) |
Bei Frauen:
Amenorrhö
Ausbleiben von
mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen |
|
Kaliummangel |
Krankhaftes
Untergewicht hat vielfältige und gravierende Auswirkungen auf
den menschlichen Körper bis hin zu lebensbedrohlichen
Komplikationen. Dazu zählt vor allem der durch die
Mangelernährung ausgelöste Kaliummangel, der lebensgefährliche
Herzrhythmusstörungen zur Folge haben kann.
|
Blutarmut/
Ödeme |
Aufgrund einer
Schädigung des Knochenmarks kann eine Anämie (Blutarmut)
hervorgerufen werden. Durch die niedrige Eiweißzufuhr mit der
Nahrung kommt es zu einem Absinken des Albumins
(Transportprotein). Bei einer verringerten Albuminkonzentration
kann die im Blut enthaltene Flüssigkeit nicht mehr ausreichend
gebunden werden und lagert sich im Gewebe ab (Ödembildung).
|
Verringerte
Östrogen-
produktion |
Eine
nachlassende Östrogenproduktion kann das Ausbleiben der
Menstruation (Amenorrhö) zur Folge haben. Östrogene (weibliche
Geschlechtshormone) unterstützen weiterhin die Einlagerung von
Calcium in die Knochenmatrix. Da dieser Vorgang im Kindes- und
Jugendalter besonders wichtig und bis etwa zum 30. Lebensjahr
abgeschlossen ist, hat eine Amenorrhö vor allem in diesem
Lebensabschnitt eine geringere Knochendichte zur Folge, wodurch
sich die Gefahr einer
Osteoporose erhöht.
|
Erhöhte
Cortisolspiegel |
Um den
Blutzucker trotz der mangelnden Zufuhr von Kohlenhydraten
konstant zu halten, muss Glucose aus anderen Substanzen (z.B.
Ketonkörper, bestimmte Aminosäuren) gebildet werden. Dies macht
eine erhöhte Sekretion von Cortisol sowie anderen Hormonen
notwendig. Dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel können zu
Haarausfall, Hautveränderungen und psychischen Erkrankungen
führen und begünstigen ebenfalls die Entstehung der
Osteoporose.
|
Unfruchtbarkeit |
Durch
die eingeschränkte Östrogenbildung kommt es zu einer Störung der
weiblichen Keimdrüsen. Die daraus resultierende Unfruchtbarkeit
(Infertilität) bleibt auch bei erfolgreicher Behandlung meist
noch längere Zeit bestehen (bis zu Jahren), bis die
Fruchtbarkeit wieder einsetzt.
|
Unterzuckerungen |
Nach
längerer unzureichender Kohlenhydratzufuhr sind die
körpereigenen Reserven aufgebraucht. Da die endogene Bildung von
Glucose (Gluconeogenese) nur sehr langsam abläuft, kann es in
Kombination mit starker körperlicher Belastung zu
Unterzuckerungen (Hypoglykämien)
kommen, die - je nach Schweregrad - zur Bewusstlosigkeit oder zu
Hirnschäden bis hin zum Tod führen können, was auf die
Minderversorgung des Gehirns mit Energie (Glucose)
zurückzuführen ist.
|
Veränderte
Blutparameter |
Die
Anorexia nervosa ruft noch eine Reihe weitere biochemischer
Abnormitäten hervor. Die Veränderungen der wichtigsten
Blutparameter sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.
Laborwert |
Auswirkungen der
Anorexie |
Blutzucker |
erniedrigt |
Gesamtprotein |
erniedrigt |
Calcium |
erniedrigt |
Phosphor |
erniedrigt |
Triglyceride |
erniedrigt |
Hämoglobin |
erniedrigt |
Hämatokrit |
erniedrigt |
Leukozyten |
erniedrigt |
Schilddrüsenhormon (T3) |
erniedrigt |
Thrombozyten |
erniedrigt |
Leberenzyme (GOT, GPT) |
erhöht |
|
Psychologische
Unterstützung |
Die Grundlage für
eine erfolgreiche Therapie der Magersucht stellt zunächst die
Einsicht des Patienten dar. Ohne diese sind die Prognose äußert
ungünstig und Therapieerfolge eher unwahrscheinlich.
Ist eine Bereitschaft zur Therapie vorhanden, ist das oberste
Ziel die Normalisierung des Körpergewichts, wobei eine
verhaltenstherapeutische Unterstützung notwendig ist. Ein
weiterer Bestandteil der psychologischen Betreuung stellt die
Therapie der verzerrten Körperwahrnehmung dar. Die Stärkung des
Selbstwertgefühls ist ebenfalls von Bedeutung. Der Kontakt mit
anderen Betroffenen und ehemaligen Anorektikern im Rahmen von
Gruppentherapien wirkt sich häufig besonders positiv aus.
Die Zusammenarbeit mit einem Psychologen ist bei der Therapie
unerlässlich. Optimal ist eine stationäre Behandlung in einer
entsprechenden Einrichtung.
Kontaktadressen von
Selbsthilfegruppen finden Sie
hier!
|
Ernährungs-
therapie |
Neben der
psychologischen Betreuung spielt die richtige Ernährung zur
Normalisierung des Körpergewichts eine wichtige Rolle.
In schweren Fällen kann zunächst eine künstliche Ernährung
erforderlich sein. Wichtig ist anschließend eine langsame
Steigerung der Nahrungsaufnahme, um Unverträglichkeiten zu
vermeiden. Dabei sollten am Anfang nur Nahrungsmittel in leicht
verwertbarer Form verabreicht werden. Aufgrund der
Schleimhautschädigungen und des Lactasemangels (milchzuckerspaltendes
Enzym) werden Milch und Milchprodukte anfangs häufig nicht
vertragen.
Im Anschluss daran erfolgt eine schrittweise Annäherung an eine
energiereiche Basiskost. Der Energiebedarf wird dabei so
veranschlagt, dass für jeweils 10 kg Untergewicht ein Zuschlag
von 20% des normalen Tagesbedarfs empfohlen wird (ca. 2500-3000
kcal / Tag).
Die Nahrung sollte auf mehrere Mahlzeiten (ca. 6) am Tag
verteilt werden und ist reich an Kohlenhydraten und Fetten.
Letztere sollten vor allem in versteckter Form aufgenommen
werden und reich an ungesättigten Fettsäuren sein.
Der Proteinbedarf entspricht dem einer "normalen" Ernährung,
liegt also bei ca. 15% der Gesamtenergieaufnahme. Die Kost
sollte vitamin- und mineralstoffreich, ausgewogen und
abwechslungsreich sein. Zu meiden sind jedoch Lebensmittel, die
energiearm, voluminös oder blähend sind (siehe Abb.).
Weniger geeignete Lebensmittel beim Kostaufbau |
Hülsenfrüchte, Blattkohlsorten,
Pilze |
Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren
mit hohem Anteil an sichtbarem Fett |
Mayonnaise, fettreiche Backwaren |
Fettarme, proteinreiche
Lebensmittel (z.B. Magermilchprodukte) |
stark kohlensäurehaltige
Getränke |
Mit steigender
Energiezufuhr kann auch mit leichter körperlicher Aktivität
begonnen werden. Dies fördert sowohl das Herz-Kreislauf-System
als auch das Muskelwachstum.
Grundsätzlich sollten die Speisen schmackhaft und appetitlich
zubereitet werden. Individuelle Bedürfnisse sollten dabei
berücksichtigt werden. Auch geringe Mengen Alkohol zur
Steigerung des Appetits sind erlaubt.
Bei bestehendem Untergewicht ohne vorliegende Essstörung
kann direkt (d.h. ohne Aufbaukost) mit einer energiereichen Kost
begonnen werden. Eine Gewichtszunahme erreicht man generell
durch eine positive Energiebilanz, d.h. wenn man dem Körper mehr
Energie zuführt als er verbraucht. Allerdings gibt es auch
Fälle, bei denen eine energiereiche Ernährung zu keiner
Gewichtszunahme führt (z.B.
Schilddrüsenüberfunktion). Um das auszuschließen, sollten
Sie sich an ihren Arzt wenden.
Prinzipiell sollte sich auch diese Ernährung an den Empfehlungen
für eine
ausgewogene Ernährung orientieren. Allerdings kann hier auf
fettreichere Produkte zurückgegriffen werden.
|
Sonstige
medizinische Maßnahmen |
Aufgrund der
gravierenden Folgen der unzureichenden Östrogenproduktion wird
der gezielte Einsatz von Östrogenen, Gestagenen und Calcium im
Rahmen der Osteoporoseprophylaxe diskutiert.
Eine weitere medikamentöse Therapie ist nicht erforderlich.
Trotz der niedrigen Konzentration des Schilddrüsenhormons T3
(Trijodthyronin), ist eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen
nicht angezeigt. Eine Ausnahme stellt die Behandlung mit
Antidepressiva dar, sofern eine begleitende depressive
Erkrankung vorliegt |
|
|